Radio "Grüne Welle" vom 02.12.99


Themen der Sendung vom 02.12.99 Schallwellen

MitarbeiterInnen der Sendung:
Ilona (I), Ralf (Ra) sowie Hardy in der Technik

AutorIn: a , SprecherIn: s


Interview zu den Themen: Atomausstieg, Strommarktliberalisierung, Greenpeace energy eG, Billigstrom, Gruene-Strom-Tarife, politische Forderungen, etc.

Ilona:
Ende September sprachen sich die fuenf grossen Umweltverbaende BUND, Greenpeace, DNR, NABU und der BBU gegen neue Atomtransporte und fuer einen schnellen Atomausstieg aus.

Der Unfall in Tokaimura und die Tschernobyl-Katastrophe, die bisher ueber 70.000 Tote gefordert hat, zeigten, dass sowohl in West und Ost Atomunfaelle und selbst Kernschmelzen nicht zu verhindern sind.

Heute ist bei uns im Studio Ralf Weyer von Greenpeace Wuppertal. Er beschaeftigt sich u.a. mit dem Thema Energie. Wir moechten im Folgenden ueber die Zukunft der Atomenergie, die Liberalisierung des Strommarktes und Oekostromanbieter sprechen.

Kann Atomenergie ueberhaupt noch eine Energie der Zukunft sein ?

Ralf:
Nein, sicher nicht.

Mal abgesehen davon, dass Uran auch nur begrenzt auf unserer Erde vorkommt. Man schaetzt, dass bei dem derzeitigen Stromverbrauch die Vorraete 90 - 140 Jahre reichen, sollten mehr Kernkraftwerke gebaut werden - wie von den Atomfirmen gefordert - ist die Zeitspanne entsprechend kuerzer.

Wie Du schon gesagt hast, einen Schutz vor einer Atomkatastrophe gibt es nicht, weder in Deutschland noch anderswo auf der Welt.

Die Sicherheitskonzepte der deutschen Atomkraftwerke stammen noch aus den 70er Jahren, trotz Nachbesserungen waeren die derzeit in Deutschland betriebenen Atomkraftwerke nach dem heute geltenden Atomgesetz nicht mehr genehmigungsfaehig.

Einige Kraftwerke laufen seit ueber 20 Jahren, aber Alterungsprobleme zeigen sich auch bei juengeren Anlagen, wie z.B. Neutronenversproedung und Rissbildung in Rohrleitungen und hoechstwahrscheinlich auch anderen Komponenten, die bisher kaum untersucht wurden. In Kombination mit sogenanntem "menschlichen Versagen", welches kaum einschaetzbar ist, koennte es dann im schlimmsten Fall zu einer Kernschmelze kommen.

So konnte z.B. 1987 im Atomkraftwerk Biblis A ein GAU gerade noch verhindert werden, was aber von der Aufsichtsbehoerde geheimgehalten wurde und erst ein Jahr spaeter durch einen Zufall bekannt wurde.

Ilona:
Das oeffentliche Vertrauen in die Atomkonzerne hat ja offensichtlich durch die bei diversen Stoerfaellen an den Tag gelegten Informationspolitik und einigen Skandalen gelitten...

Ralf:
Ja, letztes Beispiel waren die Grenzwertueberschreitungen fuer radioaktive Strahlung an Atommuelltransportbehaeltern, zu denen auch die Castoren zaehlen. In deren Folge erging dann ein Atomtransportestop, der z.Z. noch gueltig ist.

Aber das ganze Verschieben und sogenannte "Zwischenlagern" von Atommuell darf nicht darueber hinwegtaeuschen, dass es bisher noch nicht einmal ein atomares Endlager gibt.

Der daraus eigentlich folgende gesetzlich festgelegte Entzug der Betriebsgenehmigungen der Atomkraftwerke wird nur dadurch umgangen, dass ueber 70% des strahlenden Muells deutscher Atomkraftwerke zu den Wiederaufarbeitungsanlagen nach Sellafield in England und nach La Hague in Frankreich geschickt wird. Diese Anlagen sind die groessten Quellen radioaktiver Einleitungen in die Nordsee.

Greenpeace hat 1997 Messungen in der Naehe des Abwasserrohres von La Hague durchgefuehrt und eine um den Faktor 3.900 hoehere Radioaktivitaet als in der Umgebung gemessen.

Und selbst Tauben werden in Sellafield zu fliegendem Sondermuell.

Das Atomrecht schreibt eine "schadlose Verwertung" des Atommuells vor. Die Wiederaufarbeitung ist nicht "schadlos" und verstoesst gegen geltendes Recht.

Ilona:
Droht bei nicht durchzufuehrenden Transporten nicht ein Atommuellnotstand ?

Ralf:
Um dies zu verhindern fordert Greenpeace schon seit Jahren in einem durch eine Studie dargelegten Konzept ein Abschalten der Atomkraftwerke in der Reihenfolge, wie die Kapazitaeten der unmittelbar zu den Kraftwerken gehoerenden Abklingbecken zu neige gehen.

Dadurch muessten bis Ende des Jahres 2000 6 Reaktoren stillgelegt werden.

Ueber die Endlagerproblematik muss sich noch einmal gruendlich Gedanken gemacht werden.

Sollte die Bundesregierung nicht einen entsprechenden Atomausstieg bis Ende des Jahres durchsetzen, dann drohen die Umweltverbaende bei weiteren dann anstehenden Transporten durch friedliche Aktionen und Blockaden diese so schwierig wie moeglich zu machen.

Ilona:
Zur Zeit hoert man ja ein grosses Wehklagen der Stromkonzerne, die sich um ihre Gewinne gebracht sehen, falls die Atomanlagen nicht mindestens 30 Jahre laufen.

Ralf:
Die Aeusserungen der Konzerne grenzen fast an Erpressung gegenueber der Bundesregierung und auch der Bevoelkerung, denn die will nach Umfragen schon lange mehrheitlich den Atomausstieg.

Den Unternehmen geht es um ihren Profit, den Menschen aber um Gesundheit, Leben und Umwelt. Profit ist dagegen nicht durch das Grundgesetz geschuetzt.

Unverschaemt sind die Aeusserungen auch deshalb, wenn man beruecksichtigt, dass in die Subventionierung der Atomenergie auf Kosten der Steuerzahler seit Jahrzehnten ueber 40 Milliarden DM geflossen sind, waehrend die Foerderung fuer erneuerbare Energien seit den Siebziger Jahren nur insgesamt ca. 6 Milliarden betraegt.

Mindestens drei weitere indirekte Subventionierungen finden bei der Atomtechnologie statt:

Ilona:
Die Gelder muessen ja auf jeden Fall bereitstehen. Wie koennte ein Alternativ-Modell aussehen ?

Ralf:
Greenpeace fordert die Einrichtung eines unabhaengig verwalteten Entsorgungsfonds, in den die Atomanlagenbetreiber jaehrlich Beitraege einzahlen muessten - wie dies z.B. in der Schweiz und in Schweden ueblich ist - und in den die alten Rueckstellungen innerhalb einer Uebergangsfrist ueberfuehrt werden muessen. Die mehreren Milliarden DM Zinsertraege pro Jahr sollten fuer die Foerderung erneuerbarer Energien gesteckt werden.

Ilona:
Du hast eben die Liberalisierung des Strommarktes angesprochen. Welche Chancen und Risiken dies birgt, darueber sprechen wir nach der naechsten Musik.

[Musik]

Ilona:
Wir sprachen eben die Liberalisierung des Strommarktes an.

Wie fast jeder wohl mitbekommen hat, kann man seinen Stromlieferanten nun frei waehlen. Auch sogenannte "Gruene Tarife" von alten Stromversorgern und neue Anbieter von regenerativen Energien sind auf dem Markt erschienen.

Was zeichnen sich da fuer Entwicklungen ab ?

Ralf:
Ja, nachdem wir eben recht lange ueber den Atomausstieg gesprochen haben, moechte ich nun einiges ueber die Moeglichkeit erzaehlen, wie jeder seinen persoenlichen Atomausstieg vollziehen kann und welche Rahmenbedingungen von der Politik noch vorgegeben werden muessen.

Es gibt wohl kaum einen Politikbereich, in dem die Alternativen so oft, so detailliert und so ueberzeugend dargelegt wurden, wie in der Energiepolitik.

Also eigentlich keine Ausreden mehr fuer die Politik, den Atomausstieg und den Ausstieg aus den klimaschaedlichen Kohle-Kraftwerken zu verzoegern. Stattdessen muss eine massive Foerderung der effizienten Energietechnologien und der regenerativen Energien stattfinden. Diese bieten zudem zukunftssichere Arbeitsplaetze, waehrend die Atomwirtschaft versucht, ihre Kraftwerke verstaerkt im Ausland zu betreiben.

Auch die neue Bundesregierung foerdert dies immer noch, z.B. durch staatliche Hermes-Buergschaften beim Bau von Kraftwerken im Ausland.

So beharrt sie beispielsweise auf die Fertigstellung von zwei Reaktorbloecken durch Siemens in der Ukraine, dem Land des Tschernobyl-Reaktors, statt der Ukraine nichtatomare Alternativen vorzuschlagen. Auch im erdbebengefaehrdeten Gebiet in der Tuerkei will Siemens eine staatliche Buergschaft fuer den Bau eines Atomkraftwerks. Da ist die Politik gefragt, dies zu verhindern.

Ilona:
Welche Chancen bietet der neue freie Strommarkt ?

Ralf:
Die Liberalisierung des Strommarktes bietet jetzt die Chance, zu einem Stromanbieter zu wechseln, der keinen Atom- oder Kohlestrom liefert. Dies ermoeglicht nun allen Menschen den persoenlichen Ausstieg, auch solchen, die sich z.B. keine eigene Solaranlage aufs Dach bauen koennen, wie z.B. Mieter.

Seit dem Inkrafttreten des Energiewirtschaftsgesetzes im April 1998 ist der Strommarkt, der jahrzehntelang in fest abgegrenzte Strommonopole aufgeteilt war, in Bewegung geraten.

Neue Firmen habe sich gegruendet oder befinden sich in Gruendung.

Ilona:
Herrscht nun Gleichberechtigung auf dem Strommarkt ?

Ralf:
Nein, leider nicht.

Ein Problem ist die Blockadehaltung der Stromnetzbetreiber. Diese sind durch das neue Gesetz verpflichtet, ihre Netze auch anderen Stromanbietern zur Verfuegung zu stellen, aehnlich wie es im Telekommunikationsmarkt der Fall war.

Greenpeace hat mit der Aktion "Stromwechsel" schon vor ueber einem Jahr ein Projekt ins Leben gerufen, das den Stromnetzzugang freikaempfen sollte. Nach Beschwerden beim Bundeskartellamt ging z.B. der Netzbetreiber HEW mit seinen Gebuehren um 50 % runter.

Mit dem Projekt sollte zudem ein Stromlieferant gefunden werden, der die Greenpeace-Kriterien fuer oekologisch produzierten Strom erfuellt. Ueber 60.000 Menschen haben sich letztes Jahr gemeldet und koennten sich vorstellen, zu einem entsprechenden Lieferanten zu wechseln.

Ilona:
Hatte Greenpeace Erfolg und einen Anbieter gefunden ?

Ralf:
Ja, das Projekt steht jetzt mit der Gruendung von "Greenpeace energy eG", einer Einkaufsgenossenschaft fuer sauberen Strom vor der naechsten Stufe.

Man wechselt als Stromkunde komplett zur Genossenschaft, um die Kuendigung des Vertrages mit dem bisherigen Stromlieferanten kuemmert sich "Greenpeace energy".

"Greenpeace energy" besteht aus mehreren Firmen:

Die Stadtwerke Schwaebisch Hall uebernehmen sowohl die Lieferung von Strom zur Grundlastversorgung aus klimaschonenden Kraft-Waerme-Kopplungsanlagen, die 50 % des "Greenpeace energy"-Strommixes ausmacht, als auch die Kundenbetreuung.

Zwei Oekostromfirmen liefern die restlichen 50 % aus regenerativen Energien. "Greenpeace energy" achtet darauf, dass soviel Strom eingespeist wird, wie verbraucht wird. Ziel ist weiterhin, alle Kunden spaetestens nach ca. 2 Jahren aus neu aufgebauten Anlagen zu beliefern. So kann jeder direkt zum Bau neuer Stromquellen beitragen, die den Atomstrom verdraengen helfen.

Ilona:
Wie hoch ist der Preis fuer diesen Strom ?

Ralf:
Der Grundpreis betraegt 9,90 DM, hinzu kommt eine Messgebuehr von jaehrlich 65 DM, welche die Netzbetreiber berechnen. Die Kosten pro kWh betragen ausserdem ca. 35 Pf.

Ilona:
Kann man jetzt schon wechseln ?

Ralf:
Ja, allerdings kann mit der Stromlieferung erst ab dem Januar 2000 begonnen werden.

Wer naehere Informationen haben moechte, soll sich bitte unter der Telefon-Nr. unseres Greenpeace Bueros in Wuppertal melden:
0202 / 44 17 80.
Wir werden sie nochmals spaeter nennen.

Nach der naechsten Musik moechte ich noch den Unterschied von verschiedenen Oekostrommodellen vorstellen.

[Musik]

Ilona:
Was machen andere Stromanbieter auf dem Markt ?

Ist alles, was sich "Gruener Strom" oder aehnlich nennt, wirklich so oekologisch ?

Ralf:
Nein, da gibt es grosse Unterschiede.

Zunaechst ist grundsaetzlich festzuhalten, dass Oekostromanbieter, die neue Anlagen bauen, aber auch Stadtwerke, die haeufig schon viele Jahre Kraftwaermekopplungsanlagen betreiben, im Nachteil gegenueber Atomstromkonzernen sind, die ja - wie eben schon erwaehnt - auf ihre milliardenschweren Ruecklagen und Steuervorteile zurueckgreifen koennen, um Preisdumping zu betreiben und so Billigstrom anbieten koennen.

Beispiele sind Yello, eigentlich zu EnBw - also zu Energie Baden-Wuerttemberg - gehoerig, die einen Atomstromanteil von ueber 50% aufweist und einen Anteil an fossilen Brennstoffen von ca. 30 %, oder die Marke "Avanza" von RWE mit ueber 65 % Kohle-Anteil am Strommix. Darunter ist auch die besonders klimaschaedliche Braunkohle mit fast 50 % Anteil am "Avanza"-Strommix, welche z.B. bei Garzweiler II abgebaut werden soll.

Viele dieser Firmen, prominentes Beispiel sind auch die Bayernwerke oder RWE, fordern einen Aufschlag zur normalen Stromrechnung auf den Preis pro kWh und nennen dies "Gruenen Tarif" oder aehnlich. Dieser soll in Anlagen zur regenerativen Stromerzeugung gesteckt werden.

Greenpeace lehnt solch ein Spendenmodell ab, da der Kunde weiterhin ueber seine Stromrechnung umweltschaedliche Stromerzeugung unterstuetzt. Es ist geradezu absurd, wenn Stromkonzerne, die zu den reichsten Wirtschaftsunternehmen gehoeren, auf den privaten Spendenmarkt gehen.

RWE beispielsweise hatte 1997 einen Gewinn von ueber 2 Milliarden DM erwirtschaftet. Es waere ein leichtes, mit Millionenbetraegen den Umbau ihres Kraftwerkparks einzuleiten.

Wer noch Genaueres zu verschiedenen Anbietern wissen will, kann uns auch unter unserer Bueronummer 0202 / 44 17 80 anrufen.

Ilona:
Was sollte eine Energiepolitik beachten ?

Ralf:
Lange Laufzeiten fuer AKWs bedeuten die private Kapitalansammlung aus abgeschriebenen Kraftwerken zu Lasten von Stadtwerken und gesellschaftlichen Zielen zu beguenstigen.

Statt den Aufbau von effizienten und regenerativen Energietechniken zu foerdern, wird im Gegenteil die Entkommunalisierungswelle und Konzentrationswelle weiter beschleunigt, siehe die juengsten Beispiele der VIAG- und VEBA- Fusion, sowie der RWE- und VEW-Fusion.

Nach der Aussage von Prof. Peter Hennicke vom Wuppertal Institut fuer Klima, Umwelt und Energie koenne ueber die EU-Binnenmarktrichtlinie fuer Strom fuer regenerative Energien, effiziente Energienutzung und fuer die Kraftwaerme-Kopplung verbindliche Vorraenge festgelegt werden, wie z.B. in Daenemark, den Niederlanden und in England ansatzweise praktiziert.

Ein Aufschlag von nur ca. 1,5 Pf auf alle Kilowattstunden koenne fuer ein beschleunigte Markteinfuehrung und fuer Foerderprogramme ausreichen. Zudem muessen regenerative Energien von der Steuer befreit werden und Atombrennstoffe besteuert werden.

Atomstromimporte aus nicht liberalisierten Maerkten, wie z.B. aus Frankreich oder der Ukraine muessten unterbunden werden.

Wer mehr Infos zu den Themen Energie und Oekostrom haben moechte wende sich bitte an die Greenpeace Gruppe Wuppertal
unter der Nummer 0202 / 44 17 80.

Unsere Adresse lautet: Doeppersberg 20.