Themen der Sendung vom 02.12.99
MitarbeiterInnen der Sendung:
Ilona (I), Ralf (Ra) sowie Hardy in der Technik
AutorIn: a , SprecherIn: s
Der Unfall in Tokaimura und die Tschernobyl-Katastrophe, die bisher ueber 70.000 Tote gefordert hat, zeigten, dass sowohl in West und Ost Atomunfaelle und selbst Kernschmelzen nicht zu verhindern sind.
Heute ist bei uns im Studio Ralf Weyer von Greenpeace Wuppertal. Er beschaeftigt sich u.a. mit dem Thema Energie. Wir moechten im Folgenden ueber die Zukunft der Atomenergie, die Liberalisierung des Strommarktes und Oekostromanbieter sprechen.
Kann Atomenergie ueberhaupt noch eine Energie der Zukunft sein ?
Ralf:
Nein, sicher nicht.
Mal abgesehen davon, dass Uran auch nur begrenzt auf unserer Erde vorkommt. Man schaetzt, dass bei dem derzeitigen Stromverbrauch die Vorraete 90 - 140 Jahre reichen, sollten mehr Kernkraftwerke gebaut werden - wie von den Atomfirmen gefordert - ist die Zeitspanne entsprechend kuerzer.
Wie Du schon gesagt hast, einen Schutz vor einer Atomkatastrophe gibt es nicht, weder in Deutschland noch anderswo auf der Welt.
Die Sicherheitskonzepte der deutschen Atomkraftwerke stammen noch aus den 70er Jahren, trotz Nachbesserungen waeren die derzeit in Deutschland betriebenen Atomkraftwerke nach dem heute geltenden Atomgesetz nicht mehr genehmigungsfaehig.
Einige Kraftwerke laufen seit ueber 20 Jahren, aber Alterungsprobleme zeigen sich auch bei juengeren Anlagen, wie z.B. Neutronenversproedung und Rissbildung in Rohrleitungen und hoechstwahrscheinlich auch anderen Komponenten, die bisher kaum untersucht wurden. In Kombination mit sogenanntem "menschlichen Versagen", welches kaum einschaetzbar ist, koennte es dann im schlimmsten Fall zu einer Kernschmelze kommen.
So konnte z.B. 1987 im Atomkraftwerk Biblis A ein GAU gerade noch verhindert werden, was aber von der Aufsichtsbehoerde geheimgehalten wurde und erst ein Jahr spaeter durch einen Zufall bekannt wurde.
Ilona:
Das oeffentliche Vertrauen in die Atomkonzerne hat ja
offensichtlich durch die bei diversen Stoerfaellen an den Tag
gelegten Informationspolitik und einigen Skandalen gelitten...
Ralf:
Ja, letztes Beispiel waren die Grenzwertueberschreitungen fuer
radioaktive Strahlung an Atommuelltransportbehaeltern, zu denen
auch die Castoren zaehlen. In deren Folge erging dann ein
Atomtransportestop, der z.Z. noch gueltig ist.
Aber das ganze Verschieben und sogenannte "Zwischenlagern" von Atommuell darf nicht darueber hinwegtaeuschen, dass es bisher noch nicht einmal ein atomares Endlager gibt.
Der daraus eigentlich folgende gesetzlich festgelegte Entzug der Betriebsgenehmigungen der Atomkraftwerke wird nur dadurch umgangen, dass ueber 70% des strahlenden Muells deutscher Atomkraftwerke zu den Wiederaufarbeitungsanlagen nach Sellafield in England und nach La Hague in Frankreich geschickt wird. Diese Anlagen sind die groessten Quellen radioaktiver Einleitungen in die Nordsee.
Greenpeace hat 1997 Messungen in der Naehe des Abwasserrohres von La Hague durchgefuehrt und eine um den Faktor 3.900 hoehere Radioaktivitaet als in der Umgebung gemessen.
Und selbst Tauben werden in Sellafield zu fliegendem Sondermuell.
Das Atomrecht schreibt eine "schadlose Verwertung" des Atommuells vor. Die Wiederaufarbeitung ist nicht "schadlos" und verstoesst gegen geltendes Recht.
Ilona:
Droht bei nicht durchzufuehrenden Transporten nicht ein
Atommuellnotstand ?
Ralf:
Um dies zu verhindern fordert Greenpeace schon seit Jahren in
einem durch eine Studie dargelegten Konzept ein Abschalten der
Atomkraftwerke in der Reihenfolge, wie die Kapazitaeten der
unmittelbar zu den Kraftwerken gehoerenden Abklingbecken zu
neige gehen.
Dadurch muessten bis Ende des Jahres 2000 6 Reaktoren stillgelegt werden.
Ueber die Endlagerproblematik muss sich noch einmal gruendlich Gedanken gemacht werden.
Sollte die Bundesregierung nicht einen entsprechenden Atomausstieg bis Ende des Jahres durchsetzen, dann drohen die Umweltverbaende bei weiteren dann anstehenden Transporten durch friedliche Aktionen und Blockaden diese so schwierig wie moeglich zu machen.
Ilona:
Zur Zeit hoert man ja ein grosses Wehklagen der Stromkonzerne,
die sich um ihre Gewinne gebracht sehen, falls die Atomanlagen
nicht mindestens 30 Jahre laufen.
Ralf:
Die Aeusserungen der Konzerne grenzen fast an Erpressung
gegenueber der Bundesregierung und auch der Bevoelkerung, denn
die will nach Umfragen schon lange mehrheitlich den
Atomausstieg.
Den Unternehmen geht es um ihren Profit, den Menschen aber um Gesundheit, Leben und Umwelt. Profit ist dagegen nicht durch das Grundgesetz geschuetzt.
Unverschaemt sind die Aeusserungen auch deshalb, wenn man beruecksichtigt, dass in die Subventionierung der Atomenergie auf Kosten der Steuerzahler seit Jahrzehnten ueber 40 Milliarden DM geflossen sind, waehrend die Foerderung fuer erneuerbare Energien seit den Siebziger Jahren nur insgesamt ca. 6 Milliarden betraegt.
Mindestens drei weitere indirekte Subventionierungen finden bei der Atomtechnologie statt:
Diese betragen inzwischen ca. 70 Milliarden DM und wurden bzw. werden von den Stromkunden bezahlt. Und die Konzerne haben sie frei zu ihrer Verfuegung und nutzen sie unter anderem, um Atom- und Kohlestrom auf dem liberalisierten Strommarkt billig anbieten zu koennen, siehe Yello von EnBW oder Avanza von RWE.
Sollte das Kapital bei risikoreichen Geschaeften verloren gehen, muss der Staat fuer die Atommuellentsorgung aufkommen, also erneut auch der Stromkunde.
Ilona:
Die Gelder muessen ja auf jeden Fall bereitstehen. Wie koennte
ein Alternativ-Modell aussehen ?
Ralf:
Greenpeace fordert die Einrichtung eines unabhaengig verwalteten
Entsorgungsfonds, in den die Atomanlagenbetreiber jaehrlich
Beitraege einzahlen muessten - wie dies z.B. in der Schweiz und
in Schweden ueblich ist - und in den die alten Rueckstellungen
innerhalb einer Uebergangsfrist ueberfuehrt werden muessen. Die
mehreren Milliarden DM Zinsertraege pro Jahr sollten fuer die
Foerderung erneuerbarer Energien gesteckt werden.
Ilona:
Du hast eben die Liberalisierung des Strommarktes angesprochen.
Welche Chancen und Risiken dies birgt, darueber sprechen wir
nach der naechsten Musik.